Dienstag 24.09.2019.
Der erste wirklich große „Friday for Future“ ist vorüber.
Gestern schickte ich meiner Frau folgende Nachrichten:
„Ich gehe erst jetzt Schlafen…es ist ja schon 1 Uhr 30.
Habe etliche Greta Thunberg Clips auf YouTube angeschaut…
Zunächst mal hier der Link zum aktuellsten Video:
Ich konnte nur schwer damit aufhören! Sie ist phänomenal emotional!
Selbstbewusst redet sie vor riesigem politischen und medialen Publikum (Kongresse, Pressekonferenzen u.a.) Austria, Unicef, Europarat, USA, Frankreich, England, Bundestag… in zig Talkshows, so z.B. in „The Daily Show with Trevor Noah“ auf Comedy Central, einem Fernsehsender des US-Medienkonzerns Viacom, der hauptsächlich Comedy-Serien und -Shows sendet. Hier der Link zum Interview mit Greta, das ich dir zu sehen sehr empfehle: https://youtu.be/rhQVustYV24
Ich war, wie du weißt, von Anfang an sehr beeindruckt von ihren Aktionen, aber jetzt wird mir die Dimension der Bewegung, die sie ausgelöst hat, erst so richtig bewusst.
Dennoch bin ich nach wie vor aus bekannten Gründen sehr skeptisch, bezüglich der Nachhaltigkeit und der Wirkungsmacht dieser Aktionen. Ihre emotionalen, klar formulierten Botschaften finden zwar überall offenes Gehör und Greta’s Engagement bekommt viel Anerkennung und es wird mit Applaus und Standing Ovation gedankt, aber die in Gretas Bann und Gretas Botschaft gezogenen, aufmerksam zuhörenden Menschen sind allesamt und doch jeder für sich, auf eine je sehr komplexe und spezielle Weise betroffen, weil sie in sehr unterschiedlichen (Werte-) Systemen vernetzt sind, die ein gemeinsames, internationales Handeln quasi ohne demokratische Beschlüsse unmöglich erscheinen lässt. Im Anschluss an eine solche Veranstaltung fahren die Gäste in gepanzerten SUVs und noblen Diplomatenkutschen nach Hause oder sitzen – aus logistischen Gründen jeder für sich – in einem Regierungsjet und fliegen in ihre Heimatländer zurück.
Seit ich die Doku „BlackRock – Die unheimliche Macht eines Finanzkonzerns“ auf ARTE gesehen habe, glaube ich nicht mehr an eine politische Auflösung der Klimakrise. Die Systeme des Kapitals sowie sämtliche politischen Systeme sind selbst nicht mehr lenkbar. Es gibt keine direkten Verantwortungsträger mehr. Die Menschen, die vor dem Beginn des Digitalisierungszeitalters in den demokratisch regierten Ländern der Erde nützliche, den Völkern ihrer Länder dienende Entscheidungen herbeiführen konnten, haben längst – und für die Menschen selbst unmerklich – ihre Lenkungsmacht an die technischen Systeme abgegeben. Das ist evident. Schnelle Entscheidungen sind eigentlich nur noch durch den Einsatz technischer Systeme möglich. Das bedeutet, dass in dringenden Fällen der Mensch seine Entscheidungsgewalt eigentlich an die Systeme abgeben müsste. Das tut er natürlich nicht, denn das käme seiner Entmachtung gleich. Zumal weisen die technischen Systeme global gesehen ungeheuer große Differenzen in ihrer Praktikabilität und Funktionalität auf, von den Unterschieden der Funktionen in den politischen Systemen einmal ganz abgesehen.
Doch alle diese komplexen gesellschaftlichen Umstände und Verflechtungen treffen noch nicht den eigentlichen Kern der Unmöglichkeit: Dieser liegt, wie wir ja schon oft miteinander erörtert haben, in der unabänderlich scheinenden, sehr mächtigen, globalbetriebswirtschaftlichen Annahme, dass die Industrien der Nationen allein durch stetiges Wachstum angetrieben werden – und zwar auf Pump!
Wer wissen wollte und besonders auch und gerade der Ökonom, dass es auch ohne Wachstum geht, dem müsste ich an dieser Stelle eine Literaturempfehlung aussprechen (Tim Jackson, Wohlstand ohne Wachstum, Heinrich-Böll-Stiftung, oekom verlag München, Deutscher Erstausgabe 2017), aber das Lesen eines Buches benötigt relativ viel Zeit und diese nimmt sich heutzutage ja kaum Einer mehr und darüber hinaus läuft sie uns in dieser Sache davon. Deshalb habe ich nur wenig Hoffnung in Hinsicht auf eine Wende vor der Klimakatastrophe.
Aber ich liebe Dich trotzdem! Oder besser gesagt, liebe ich dich aus genau diesen Gründen noch ein weiteres Stückchen mehr! Weil wir sehr ähnlich ticken (könnte man sagen). Wir fliegen nicht mehr, wir essen fast kein Fleisch mehr, wir haben das Plastik aus unserem Haushalt verbannt, wir fahren ein kleines Auto und wir atmen flach.“
Heute Morgen schickte sie mir folgende Nachricht:
„Krass (vorab ihr einziger Kommentar dazu) Versenkte Boeing 747 vor Bahrain: Abtauchen statt abheben – SPIEGEL ONLINE
Taucher, aufgepasst! Es gibt einen neuen Ort für die Bucket List: Vor der Küste von Bahrain entsteht derzeit ein riesiger Unterwasserthemenpark. Die Hauptattraktion ist ein versenktes Flugzeug.“
Ich antwortete ihr sofort:
„Genau das meine ich: Das ist kaputtes Marketing, bei dem die Leute, die es betreiben und die Anderen, die diese geregelten Tourismusangebote annehmen, künftig ein schlechtes Gewissen bekommen oder noch besser von ihren Reiseveranstaltern zu Hunderttausenden im Stich gelassen werden.
Eigentlich verstehe ich das sehr gut: der im Konsum erzogene Mensch will was vom Leben haben! Ich weiß noch, wie es in meiner Jugend in den 60ern war. Da fragte die Lehrerin: „Und wo wart ihr diesen Sommer im Urlaub?“ Manchmal mussten wir sogar einen Aufsatz zu dieser Frage schreiben. Ich hatte mich angesichts der spannenden Geschichten, die die braun gebrannten Gesichter mit glühenden Augen erzählten, oft geschämt, weil ich meist nix zu erzählen hatte. Zwischenzeitlich haben sich offensichtlich auch diese Werte stark gewandelt.“
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