Da gibt es einen wunderbaren Pfeffer aus Szechuan. Ein dorniges Gelbholz, das feinhöckrige, purpurrote Balgfrüchte ausbildet, die runde, schwarz-glänzende Samen austragen. Sein Vorkommen verdankt sich den klimatischen Bedingungen im Südwesten Chinas, genauer gesagt dem Land des Überflusses, als das es für die Poeten unter den Chinesen gilt und das tief am Jangtsekiang, dem größten Fluss der Region, westlich der tibetanischen Hochebene gelegen ist. Der Szechuan ist ein keinesfalls scharfer Pfeffer, sondern seine vegetarischen Ingrediens, übrigens sind diese reich an verschiedenen Amiden, wirken eher betäubend und prickelnd auf der Zunge. Bei hoher Dosierung können diese organischen Verbindungen einen ausgewachsenen Menschen glatt flachlegen. Allerdings vermindern genau dieselben Eigenschaften bei regelgerechter Verwendung die in Klarheit und Kraft unübertreffliche Schärfe der dort gewachsenen Paprika, die den vielen, für die Region typischen Gerichten eine unvergleichliche Hitze verleiht, ja, sie komplettieren sozusagen das gesamte Niveau einer besonders scharfen Soße, die alsdann in Nudeltellern und Speisen mit gesiedetem Rindfleisch gereicht wird.
Der Natürlichkeit des Szechuanpfeffers entsprechend enttäuscht uns in ganz ähnlicher Manier das Coronavirus und wirkt eher betäubend auf die Gesellschaft, als dass es deren Sinne schärft. Bei hoher Dosierung können diese organischen Strukturen selbst den gesamten Kulturbetrieb ausgewachsener Gesellschaften glatt flachlegen. Feurig erglühen die vermeintlich Verantwortlichen zwar an den zu scharfen Peperoni-Beats in den Partyhallen, alle wollen sie am Ende dennoch zurück zur normalen Nudel: ausgewogen die Soße dazu, davon reichlich aber nicht zu hitzig. Manch einer, dem der heiße Party-Saft trotz des Szechuanpfeffers zu heiß und obendrein bedrohlich scheint, rennt hysterisch zum Wasserhahn, um den Brand in seiner Kehle zu löschen, ein anderer stillt seinen Durst im Stadion mit ein paar Bier: das ist fatal. In der Südkurve findet sich die mildernde Wirkung der Frucht jenes Gelbholzes wie im bedrohten Leben selbst wieder: Wehe denen, die nicht geforscht haben und doch reden. (Geliehen von Berthold Brecht aus “DasLeben des Galilei”)
Darüber hinaus ist die-Welt-retten wie Szechuanpfeffer in der Peperonisoße, ein Virus im kulturellen Föderalismus, eine Unbekannte im Kanzleramt, eine Unbekannte in den Systemen aller Völker – jenseits ihrer, all je so unterschiedlichen Normalität.
Pfefferviren und Coronapaprika rund um den Globus. Das bedeutet eine Reise durch die eigenen vier Wände, Sehnsucht nach Abenteuer und Sehnsucht nach gewohnter Normalität in einem Zug. Doch da ist kein schwierigerer Vormarsch als der zurück zur Vernunft, so ist es erneut Brecht der dies dem guten Mensch von Sezuan verleiht.
Die reine Vernunft allerdings unterliegt zumindest seit Kant einer scharfen Kritik, die oft die Unvernunft in ihrem Habitat, nämlich der Abenteuerlichkeit, als die eigentliche, die natürliche Quelle der Vernünftigen ausweist. – Also, nix wie raus?
Potz Blitz!
Da mach sich doch einer seinen Reim draus!
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